Neulich sandte mir mein 18-jähriger Sohn eine Postkarte aus Berlin. Das Motiv zeigte eine Aufnahme von Will McBride, die dieser in den 1960er Jahren fotografiert hatte und die ich bei ihm in den 90er Jahren erwarb. Der Abzug hängt seit dieser Zeit gerahmt an immer anderen Stellen unserer häufig wechselnden Wohnungen in Frankfurt. Mein Sohn war überrascht, das Motiv, das ihn von Kindesbeinen an begleitet hat, unvermittelt im musealen Kontext wiederzuentdecken.
Seit einem Jahr wohnen wir nun in einem Haus, das unmittelbar an einen Bahnhof grenzt. Im Hausflur hängt ein großes schwarzes von Ernst Stark geschnitztes „Werkzeug“, das er mir vor Jahren geschenkt hat. Bei einem seiner letzten Besuche erzählte er mir, dass er die Vorlage dieses Schraubenschlüssels vor einigen Jahren hier auf den Gleisen gefunden habe, als an Stelle dieser Siedlung noch industrielles Brachland war. So schließt sich der Kreis.
Letztes Jahr erwarb eine junge Dame vier „Yule Balls“ der Künstlerin Iris Musolf. Zusammen mit meinem Text „Gravitation“ verschenkte sie die Kugeln an alle engen Mitglieder ihrer Familie, um damit ihre Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen. Eine Dame aus dem Schwarzwald erwarb neulich eine geschnitzte Kuchenform von Ernst Stark mit der Erläuterung, dass Küchengeräte für sie etwas Tröstliches besäßen. Welche Bedeutung entfalten wohl die „Schmetterlinge“, die ein für uns anonymer Herr vor Wochen erwarb? Oder die „Netzecke“, die ich vor kurzer Zeit für den Versand nach Berlin vorbereitet habe?
Warum schreibe ich diese persönlichen Geschichten? Kunst kann und darf dekorativ sein. Entscheidend aber ist, welche Bedeutung sie für Sie hat oder im Laufe der Jahre entwickelt. Kunst zu erwerben und zu besitzen kann Ausdruck Ihrer Persönlichkeit sein. Ein Werk kann zum Bestandteil ihres Lebens werden und für ein Erlebnis, eine Erfahrung, ein Ereignis stehen, das Ihnen wichtig ist. Die Kunst entsteht im Auge des Betrachters. Und so kann eine Schnitzerei, eine Malerei, eine Fotografie über die Jahre und Jahrzehnte eine Wertsteigerung der anderen Art erfahren – für Sie, für Ihre Freunde oder Familie, nichts anderes zählt.
Carsten Wolff